Die Gunas sind ein mental-spirituelles Modell, das uns hilft, das höhere Yoga zu verstehen. Im indischen philosophischen System Samkhya, das ca. 400 v. Chr. seine Anfänge nahm, gibt es die Ur-Materie Prakriti. Diese Ur-Materie ist durch drei wesentliche Eigenschaften oder Kennzeichen charakterisiert, die man die drei Gunas nennt:
Tamas steht für die Qualitäten Trägheit, Zurückhaltung, Dunkelheit, Schwere, Chaos und verleiht Masse, Erdung und Langsamkeit. Tamas wirkt hemmend, verwirrend, verunsichernd und bremsend. Hinter Tamas verbirgt sich auch die dunkle Macht der Täuschung und die maßlose Befriedigung von Leidenschaften. Tamas bremst uns in unserer Aktivität, aber wir brauchen es auch, um zur Ruhe zu kommen, zum Beispiel zum Einschlafen oder Meditieren und um uns zu erden. Tamas ist dem Element Erde und im Zusammenspiel mit Sattwa dem Element Wasser zugeordnet.
Rajas steht für Bewegung und Rastlosigkeit, verleiht Energie, Tatendrang und Aktivität. Rajas steht für Trieb und Leidenschaft sowohl im positiven Sinn, kann aber auch als Gier, Hass und Neid gefährlich werden. Wir brauchen Rajas, um aktiv und kreativ zu sein, ein Zuviel verursacht jedoch innere Unruhe und Unausgeglichenheit. Bei zu viel Rajas ist man aufgedreht und nervös, man kann nicht still sitzen, aber Rajas bringt uns auch viele Ideen und Schaffensdrang. Rajas ist dem Element Luft und im Zusammenspiel mit Sattwa dem Element Feuer zugeordnet.
Sattwa steht für die Qualitäten Klarheit, Güte, Harmonie, verleiht Reflexion, Klarheit, Leichtigkeit und Licht. Sattwa wird als höchstes der Gunas betrachtet, da es uns Menschen Wahrhaftigkeit und Weisheit verleiht und zum Göttlichen führt. Sattwa ist das Gegenteil von Rajas und Tamas, es bremst uns nicht, drängt uns aber auch nicht in die Bewegung. Sie sorgt für Klarheit und stellt die wichtigsten Momente im Leben dar. Oder wie Iyengar sagt: „Wenn Sattwa-Guna allein übrig bleibt, hat die menschliche Seele einen weiten Weg zum höchsten Ziel zurückgelegt“. Sattwa ist dem Element Raum/Äther zugeordnet sowie im Zusammenspiel mit Rajas und Tamas den Elementen Feuer und Wasser.
Alle Erscheinungen des Lebens entstehen aus dem Zusammenspiel dieser drei Grundkräfte, wie es in der Bhagavad Gita: XIV.9 beschrieben wurde: „Sattwa lässt einen nach Freude streben und Rajas nach Aktivität, während Tamas, welches die Weisheit verhüllt, zu Irrtümern verleitet und einen zu Schlaf und Trägheit führt.“
Alle drei Gunas wirken auf der physischen, geistigen und emotionalen Ebene. Alle drei Gunas mit all Ihren Qualitäten sind ständig in jedem von uns vorhanden - jedoch nie in gleicher Ausprägung, sondern in ständig wechselnder, unterschiedlicher Mischung und Dominanz. In der Yoga-Lehre gelangt man von Tamas über Rajas zu Sattwa.
Die Gunas treten in verschiedenen Graden in allen groben oder feinen Gegenständen auch in der uns umgebenden Natur auf, somit auch in unserer Nahrung, wie es die Lehre des Ayurveda sehr detailliert beschreibt.
Die Gunas bestimmen unser Verhalten, gemäß der Yoga-Lehre sind sie ausschlaggebend dafür, warum Menschen so sind wie sie sind und das tun, was sie tun. Unser gewöhnlicher mentaler Zustand ist eine Mischung aus Klarheit (Sattwa), Erregung (Rajas) und Stumpfheit (Tamas). Der ursprüngliche natürliche Zustand unseres Geistes ist Sattwa - ein Geist in Klarheit, Frieden und Harmonie. Heutzutage sind unsere Sinne jedoch von außen sehr vielen Wahrnehmungen und Störungen (Rajas) ausgesetzt, so dass unser Geist durch diese Reizüberflutung seine innere Konzentration verliert. Leider realisieren die Menschen das nicht und kehren nicht um, sondern suchen noch viel mehr in der äußeren Welt nach Glück. Diese immer hektischere und letztendlich sinnlose Suche führt mit der Zeit zu einer Erschöpfung des Geistes und damit zum Zustand der Trägheit (Tamas). Viel zu viele Menschen sind heutzutage in der äußeren Welt der Sinne verhaftet und völlig blind für die innere Welt des Bewusstseins. Da die meisten Menschen diese Zusammenhänge jedoch nicht kennen, können sie auch die Erscheinungsbilder einer zu starken Dominanz von Tamas und Rajas bzw. das Fehlen von Sattwa nicht sehen.
Symptome eines Guna-Ungleichgewichtes: Tamasige Momente sind die, die uns unaufmerksam und träge lassen werden. Sie fördern spirituelle Trägheit und Zustände wie Depressionen, Trauer und Melancholie. Wenn wir nur noch passiv sind, nur noch konsumieren, unsere Freunde und Familie vernachlässigen und nur noch an uns denken, wenn wir nur noch schwere, ungesunde Nahrung zu uns nehmen und übergewichtig werden, dann dominiert Tamas. Tamas führt zum Verlust aller geistigen Fähigkeiten mit der Folge einer kranken Psyche. Wenn wir spüren, dass wir unachtsam werden oder einen emotionalen Tiefpunkt haben, gilt es innezuhalten, um neue Energie zu tanken. So können wir uns vor Erschöpfung schützen und gleichzeitig vorbeugen bzw. verhindern, dass Tamas uns beherrscht.
Rajasige Momente zeichnen sich durch Aktivität und Bewegung aus und sind dadurch dynamisch, emotional und leidenschaftlich. Wir nehmen uns dann allerdings nicht die Zeit, in uns hineinzuhorchen, was für unsere spirituelle Entwicklung förderlich ist und was nicht. Unsere heutige Gesellschaft ist viel zu leistungsorientiert. Ehrgeizige, mentale Rajas-Typen sind gefragt und machen Karriere. Aber diese Menschen werden früher oder später Opfer ihrer mentalen Rajas-Situation. Ihre ständige Unruhe und überschießende Energie schafft Aggressionen, Burnout und andere psychische Erschöpfungskrankheiten, weil sie Körper und Sinne ständig überstimulieren.
Sattva fördert alle geistigen Fähigkeiten und erzeugt psychische Gesundheit. Sattwige Momente erheben den Geist und beruhigen das Herz. Aber weil sie so angenehm und schön sind, können sie uns andererseits auch abhängig machen. Dadurch bekommen wir möglicherweise Schwierigkeiten, wenn wir plötzlich mit rajasigeren und tamasigeren Situationen konfrontiert werden. Personen, die ausschließlich sattwig in sich ruhen und von der Welt wenig beeinflusst werden, können vielleicht manchen Herausforderungen des Alltags nicht mehr gewachsen sein. Menschen, die überwiegend intellektuell sind und dabei Ihren Körper vernachlässigen, reichern zwar Sattwa im Geist an, werden aber im Körper von Tamas dominiert. Die Folge sind körperliche Beschwerden wie zum Beispiel Nacken- und Schulterschmerzen, Rückenschmerzen allgemein, fehlende körperliche Belastbarkeit sowie Probleme mit Kreislauf und Atmung.
Rolle des Yoga im Hinblick auf die Gunas: Yoga nutzt die drei Gunas, um die mentale und spirituelle Natur zu bestimmen. Meist dominiert ein Guna in uns, aber es muss uns immer bewusst sein, dass wir alle drei Gunas in uns tragen. Wir alle kennen friedliche Sattwa-Phasen, nervöse Rajas-Phasen und träge Tamas-Phasen. Im Yoga ist es entscheidend, dass wir Sattwa stärken und Rajas und Tamas dämpfen. Aber wir müssen auch berücksichtigen, dass wir das latente Potential und die Ruhe von Tamas ebenso benötigen wie die Energie und Aktivität von Rajas, um irgendwann die „vollständige Meisterschaft“ von Sattwa zu erreichen und damit die optimale Balance und Gewichtung der Gunas. Als Mensch benötigen wir alle drei Gunas in der richtigen Ausprägung zum richtigen Zeitpunkt, um ein gesundes Leben führen zu können. In meiner Yoga-Praxis versuche ich all diese Kräfte und Energien auszugleichen und zu harmonisieren. Dazu gehört, dass ich durch Yoga die Menschen anleite, ihren Zustand zu erkennen und Ihnen durch die Yoga-Praxis Mittel an die Hand gebe, wie sie sich aus einem Zustand überschießenden Tamas oder Rajas wieder „herausholen“ können bzw. die drei Gunas in Balance bringen. So überwinden Asanas oder Pranayama zum Beispiel die Trägheit von Tamas und Meditation reduziert Rajas und führt zu mentaler Ruhe. Aber auch Tamas - also z.B. erdende Yoga-Übungen - können überschießende Rajas-Zustände reduzieren und ein gutes Verhältnis von Bewegung, Passivität und Ruhe herstellen. Auch Hinweise auf eine yogische Ernährung können großen Einfluss auf sattwische Ausgeglichenheit nehmen.